Vom Grundschüler in Aleppo zum Abiturienten in Lübeck

Nihad war 10 Jahre alt, als er 2011 seine Heimatstadt Aleppo in Syrien verließ. Eine ganz normale Familie, der Vater war Pilot in der syrischen Luftwaffe, die Mutter Lehrerin für arabische Literatur, wurde durch den Bürgerkrieg zur Flucht gezwungen, denn der Vater konnte nicht ertragen, dass er auf sein eigenes Volk schießen sollte. Er ging zunächst illegal über die Grenze in die Türkei. Seine Frau und die drei Kinder, Nihad und seine zwei jüngeren Schwestern, folgten anderthalb Jahre später. Aber die Trennungszeit war noch nicht beendet, denn in der Türkei konnte die syrische Familie wie so viele andere Flüchtlinge kein Leben aufbauen. Der Vater entschloss sich daher zur äußerst riskanten Flucht über das Mittelmeer. Nihad erinnert sich an die Anspannung seiner Mutter, während der Vater auf dem gefährlichen Weg war. Aber alles ging gut aus, Nihads Vater erreichte schließlich Deutschland. 2015 bekam er die Erlaubnis, seine Familie nachzuholen. Ihre Flucht endete schließlich in Lübeck.

Hier musste der Einstieg in ein neues Leben beginnen – und gelingen. Nihad wurde an der GKS Lübeck eingeschult, zuerst in eine sog. DaZ – Klasse (Deutsch als Zweitsprache), da er bis dahin kein Wort Deutsch konnte. Dort lernte er genug Deutsch, um nach einem Jahr am Regelunterricht teilnehmen zu können. Er wechselte in die reguläre 8. Klasse und schaffte eine vorbildliche Schulkarriere, die er an der GKS mit einem MSA (Mittlerer Schulabschluss) am Ende der Jahrgangsstufe 10 abschloss. Mit seinem guten Zeugnis wurde er in die gymnasiale Oberstufe der Baltic – Schule aufgenommen, wo er in diesem Juli das Abitur bestand, mit einem Notendurchschnitt von 2,3.

Dieses gute Ergebnis, so erzählt Nihad, habe sehr viel Arbeit bedeutet, sehr viel einsames Lernen und selbstgewählte Isolation. Was ihn anspornte, war vor allem die Lebensgefahr, die sein Vater als Bootsflüchtling zum Wohle der Familie auf sich genommen hatte. Das sollte nicht umsonst gewesen sein! Seine Eltern fördern und unterstützen ihn nach Kräften und freuen sich jetzt sehr mit ihrem Sohn, da ihm nun alle Wege offenstehen. Er wird im kommenden Wintersemester ein Informatikstudium an der Uni Lübeck beginnen.

Aber das ist nicht das einzige Ziel, dass Nihad verfolgte und in diesem Sommer ebenfalls erreichte. Einen Tag nach Ende der Abiturprüfungen erhielt er seine Einbürgerungsurkunde im Rathaus zu Lübeck von Senator Hinsen. Nihad konnte die sonst übliche Wartezeit von 8 Jahren auf 6 Jahre verkürzen. Das ist möglich, wenn der Antragsteller „besondere Integrationsleistungen“ vorweisen kann, etwa gute Schulabschlüsse oder ehrenamtliche Tätigkeiten. Nihad arbeitet bei den SonntagsDialogen mit, wo immer er kann, um die Hilfe, die er erhalten hat, weiterzugeben, wie er sagt.

Nun ist er deutscher Bürger und wird zur Belohnung seines erfolgreichen Sommers demnächst seine Tante in Istanbul besuchen, ein lang gehegter Wunsch. Mit deutschem Pass kann er jetzt auch Länder aufsuchen, die ihm als Syrer die Einreise verweigert oder zumindest erschwert hätten.

Wir wünschen ihm und seiner Familie weiterhin viel Erfolg in ihrem neuen Leben. Sein Vater arbeitet mittlerweile als Busfahrer. Beide Schwestern besuchen inzwischen ein Gymnasium, die ältere von beiden hat ebenfalls einen Einbürgerungsantrag gestellt.